Matthias Schneider ist Mobilitätsmanager der Stadt Gelsenkirchen. Der studierte Raumplaner kümmert sich unter anderem um die Umsetzung des städtischen Green City Plans, - einem Projekt für eine zukunftsorientierte Mobilität der Stadt - die strategische Weiterentwicklung alternativer Mobilitätsangebote sowie die Öffentlichkeitsarbeit zur Verkehrswende.
Matthias Schneider, warum setzen Sie sich für eine Verkehrswende ein?
Zur Verkehrswende gibt es ein breites politisches Bekenntnis. Es gilt, die Art, wie wir uns im Raum bewegen, zukunftsfähig zu machen und den Erfordernissen von Klimaschutz und Klimaanpassung ebenso Rechnung zu tragen wie dem Bedürfnis nach leistungsfähiger, bezahlbarer und zuverlässiger Mobilität.
Was gewinnen wir, wenn wir die Verkehrswende umsetzen?
Im besten Fall steigern unsere Systeme in allen drei Säulen der Nachhaltigkeit (Ökologie, Ökonomie und Soziales) ihre Effizienz, insbesondere wenn es gelingt, den Ansatz „Mobility-as-a-Service“ weiter auszubauen. “Mobility-as-a-service” ermöglicht es Nutzer*innen über einen einzigen Kanal ihre Verkehrsmittel zu planen, buchen und zu bezahlen. In jedem Fall aber gewinnen unsere Städte an Lebensqualität, alleine durch die Möglichkeit zur Umgestaltung städtischer Straßenräume, die derzeit wesentlich durch den ruhenden Verkehr geprägt werden.
Wie stellen Sie sich öffentlichen Personennahverkehr in Zukunft vor?
Mit einem Wort: leistungsfähiger. Das beinhaltet sowohl weitere Taktverdichtungen wie auch ausgedehntere Betriebszeiten und ein noch dichteres Netz. In Gelsenkirchen zielen wir derzeit zur Steigerung der Leistungsfähigkeit darauf ab, noch mehr Verkehre auf die Schiene zu verlagern und Straßenbahnverbindungen für wichtige Achsen auszubauen. Für die Zukunft wünsche ich mir einen ÖPNV, der in seiner Attraktivität tatsächlich konkurrenzfähig gegenüber dem Auto ist – in Sachen Schnelligkeit und Verfügbarkeit.
Ist eine Gesellschaft ohne ÖPNV denkbar?
Er ist ein Element der Daseinsvorsorge, das die Mobilität aller Menschen sicherstellt und somit einen entscheidenden Beitrag zur gesellschaftlichen Teilhabe aller Bevölkerungsgruppen leistet. Eine moderne, demokratische Gesellschaft ohne ÖPNV ist deshalb schlicht nicht vorstellbar.
Was würden Sie am ÖPNV verändern, wenn Sie die Möglichkeit dazu hätten?
Zunächst einmal die Finanzierung verbessern. Um bei der leicht „utopischen“ Stoßrichtung der Frage zu bleiben: Ein für die Nutzenden kostenloser ÖPNV könnte verbreiteten Schätzungen zufolge bis zu 30 Prozent mehr Nachfrage generieren und entsprechend viele Menschen zum dauerhaften Umsteigen bewegen. Ein Allheilmittel ist dies – ohne die bereits erwähnten Maßnahmen zur Steigerung der Leistungsfähigkeit – jedoch nicht. Will heißen: Vor der Tarifwende muss die Angebotswende kommen. Ein weiterer Punkt wäre die flächendeckende Modernisierung der Busflotte durch Fahrzeuge mit Wasserstoff- oder Elektroantrieben, die zuvorderst ebenfalls ein Kostenproblem darstellt: 250.000 Euro für einen konventionell angetriebenen Bus gegenüber rund 600.000 Euro für einen elektrisch betriebenen sprechen eine deutliche Sprache. Dazu kommen derzeit Wartezeiten von bis zu zwei Jahren bei der Beschaffung, da Fördertöpfe von Bund und Land ausgeschöpft werden und es einen regelrechten Run auf die wenigen Hersteller gibt.
Was muss passieren, damit wir eine Verkehrswende realisieren?
Es braucht Mut, Geld und ein klares Bekenntnis. Der ÖPNV wird immer ein Zuschussgeschäft bleiben. Alleine die Taktverdichtung auf den bestehenden Gelsenkirchener Straßenbahnlinien von 10 auf 7,5 Minuten hat für jährliche Mehrkosten in Höhe von 1,8 Millionen Euro gesorgt. So etwas muss dann natürlich auch gesellschaftlich und politisch gewollt sein, wenn es gelingen soll.
Was möchten Sie der Politik zum Thema Verkehrswende mitgeben?
Die Empfehlung zur Ehrlichkeit in der Kommunikation mit den Bürger*innen. Für die Verkehrswende gibt es derzeit eine hohe Zustimmung in der Bevölkerung. Das kann sich jedoch schnell ändern, wenn Maßnahmen konkret werden und in die eigene Komfortzone eindringen. Wenn etwa der Stellplatz vor der Haustür wegfällt, der Bus statt in der Bucht vor mir auf der Straße hält oder für den einen oder anderen Radweg Bäume fallen müssen. Die Zielkonflikte sind bereits vorhanden und müssen klar benannt werden. Wir dürfen das Vertrauen der Menschen nicht verspielen, wenn wir etwas erreichen wollen.
Matthias Schneider, vielen Dank für das Gespräch!