Martin Schmidt ist bereits seit 2002 Geschäftsführer der Vestischen Straßenbahnen GmbH, die den öffentlichen Personennahverkehr im Kreis Recklinghausen, Bottrop und im Norden Gelsenkirchens betreibt. Das Unternehmen hat kürzlich ein Brennstoffzellen-Fahrzeug getestet, das mit Wasserstoff betrieben wird und statt klimaschädlicher Abgase nur chemisch reinen Wasserdampf emittiert.
Martin Schmidt, wie besorgt man sich eigentlich einen Wasserstoffbus zum Testen? Man geht ja sicher nicht einfach zum Wasserstoffbus-Verleih…
Es gibt aktuell in Europa drei Fahrzeughersteller, die sich an das Thema Wasserstoffbus „herantrauen“. Zwei haben uns Modelle zum Testen angeboten. Das erste haben wir eine Woche lang in Herten und Bottrop testen können – und das kam unseren Vorstellungen schon sehr nah: mit großer Brennstoffzelle und einer kleinen Traktionsbatterie. Diese speichert Bremsenergie und Energie aus der Brennstoffzelle, die dann elektrisch für den Antrieb genutzt werden kann. Auf diese Weise fällt die Brennstoffzelle insgesamt kleiner aus und wir können auf den Aufbau einer Ladeinfrastruktur für die Batteriepakete verzichten. Den Bus eines portugiesischen Herstellers werden wir Ende Juni Probe fahren.
Worin liegt der ökologische Vorteil eines Wasserstoffbusses?
Das ist ähnlich wie bei Batteriebussen: Die Fahrzeuge sind so sauber wie der Strom, der sie antreibt. Wasserstoff kommt ja niemals pur vor, sondern immer nur in gebundener Form. Mithilfe von Strom wird er per Elektrolyse aus dem Wasser getrennt. Wenn dieser Strom regenerativ erzeugt wurde – und nur dann – entstehen ökologische Vorteile. In Norwegen etwa kann man zu 100 Prozent regenerativen Strom aus Wasserkraft erzeugen. Wenn man damit ein Batteriefahrzeug antreibt, ist es mit Blick auf das Klima sauber. In Deutschland ist ein Wasserstoffbus oder auch ein Batteriebus aber noch lange nicht sauber, eben weil der Strom bei uns aktuell nur zu etwa 50 Prozent regenerativ erzeugt wird. Der europäische Gesetzgeber definiert zwar, dass Strom für Elektrofahrzeuge emissionsfrei ist, aber damit kann man elektrische Fahrzeuge nur bilanziell sauberrechnen, denn letztendlich findet mit diesen Fahrzeugen ja nur einer Verlagerung der globalen und lokalen Emissionen an den Ort der Stromerzeugung statt. Die Fahrzeug- und Batterieherstellung selbst sowie deren Entsorgung ist dabei in der Bilanz noch gar nicht berücksichtigt. Es fehlt hier also ein ganzheitlicher Ansatz, der all diese Facetten betrachtet und ökologisch bewertet.
Wenn die ökologische Bilanz bei beiden ähnlich ausfällt: Was kann denn der Wasserstoffbus, was der Batteriebus nicht kann?
Auch wenn der Brennstoffzellenbus in der Anschaffung nochmals deutlich teurer als ein Batteriebus ist, gibt es doch eine Reihe betrieblicher Vorteile, angefangen bei der höheren Reichweite: Im Winter benötigt der Batteriebus die Hälfte seiner Batteriekapazität allein für das Heizen des Innenraums, was dann deutlich zu Lasten der Reichweite geht. So kommen die bei uns in Bottrop eingesetzten Batteriebusse bei kaltem Wetter mit einer Batterieladung gerade mal 60 bis 70 Kilometer weit. Das kann in unserem Bedienungsgebiet von fast 1.000 Quadratkilometern natürlich keine Lösung sein. Der Brennstoffzellenbus schafft dagegen 300 bis 350 Kilometer. Er kennt auch kein Heizproblem im Winter: Bei einer Betriebstemperatur von rund 80 Grad kann man die Abwärme der Brennstoffzelle wie beim Verbrenner zum Heizen des Fahrgastraums nutzen. Die Betankungszeit ist beim Wasserstoffbus mit zehn bis 15 Minuten zudem vergleichbar mit der eines Dieselbusses. Ein Batteriebus braucht dagegen mehrere Stunden, um seine Batterien wieder aufzuladen. Dazu kommen Kosten für die Ladeinfrastrukur.
Wie hoch sind diese?
Eine Ladestation allein kostet 200.000 Euro, und das auch nur, wenn die Stromleitung bereits verlegt ist. In unserem Gebiet bräuchten wir jede Menge solcher Stationen, die wiederum von Trafo-Stationen versorgt werden müssen. Und auf unserem Betriebshof in Herten müssten wir ein Umspannwerk errichten. Das kostet einen zweistelligen Millionenbetrag – und da ist die Hochspannungsleitung noch gar nicht dran.
Natürlich benötigen wir auch beim Wasserstoff eine aufwändige Tankanlage, dafür haben wir aber hier auf dem Betriebshof in Herten Wasserstoff verfügbar, weil in unmittelbarer Nähe zum Gelände eine Pipeline verläuft. Und da wir nur so viel Wasserstoff aus dem Netz nehmen, wie wir brauchen, hätten wir auch kein Problem mit der Lagerung – die ist bei Wasserstoff und den damit verbundenen Auflagen nicht ganz ohne.
Scheint alles für die Wasserstoffbusse zu sprechen. Warum dann noch testen?
Wir haben die Anschaffung von zunächst fünf Wasserstoffbussen im Rahmen einer europaweiten Ausschreibung eingeleitet. Um einen besseren Preis zu bekommen, haben wir uns dafür mit den Verkehrsbetrieben aus Oldenburg und Bremerhaven zusammengetan. Vor einigen Jahren haben wir allerdings keine allzu guten Erfahrungen mit zwei Brennstoffzellen-Hybrid-Midibussen gemacht, die sich zunächst eher als Verkehrshindernis herausgestellt haben. Mit ihrer Geschwindigkeit von 33 Kilometern pro Stunde wurden sie oft von Fahrrädern überholt (lacht). Insbesondere die Fahrzeugverfügbarkeit war damals nicht befriedigend. Deshalb müssen wir bei den Wasserstoffbussen erst einmal ein paar Dinge ausprobieren: Wie verhält sich das Fahrzeug allgemein im Fuhrpark? Wie funktioniert das Tanken, getestet am Wasserstoff-Kompetenzzentrum in Herten? Und wie bewältigt der Bus schwierige Stellen im Streckennetz? Es gibt Elektrobusse, die steilere Anstiege nicht hochkommen. Die Testfahrzeuge müssen auch dort die Geschwindigkeit halten und aus dem Stand wieder anfahren können. Das hat alles aber wunderbar funktioniert.
Sie haben einige Ihrer Fahrer*innen eigens für die Tests geschult. Wie fällt deren Fazit zum Wasserstoffbus aus?
Die Fahrer*innen waren sehr zufrieden. Das Fahrzeug ist leise, vibrationsarm und hat wie andere Elektro-Fahrzeuge ein hohes Drehmoment bereits aus dem Stand, also ein hohes Beschleunigungsvermögen. Mit einem geregelten Diesel beschleunigt man von null auf 50 km/h in 13 bis 15 Sekunden, der Wasserstoffbus schafft das in neun Sekunden. Wenn Sie einen Bus mit so viel Power beschleunigen, werden sich die stehenden Fahrgäste kaum auf den Beinen halten können. Deshalb muss das Fahrzeug noch „fahrgastverträglich“ gedrosselt werden – und verbraucht dann sogar noch weniger Wasserstoff.
Das klingt vielversprechend. Werden also in zehn Jahren bei der Vestischen nur noch Wasserstoffbusse im Einsatz sein?
Laut dem „E-Bus-Radar“ waren in Deutschland zum Jahresende 2020 gerade einmal 64 Wasserstoffbusse zugelassen. Diese Zahl zeigt, dass wir uns beim Thema noch im Frühstadium befinden und die Preise noch nicht stimmen. Bei den Bussen handelt es sich mehr oder weniger noch um Prototypen. Die Firma, deren Bus wir getestet haben, hat bislang drei Wasserstoffbusse gebaut – einer davon war bei uns. Wir müssen weitere Praxiserfahrungen mit diesen Fahrzeugen sammeln, um dadurch zum Beispiel die Zuverlässigkeit der Fahrzeuge im Winter und im Sommer bei Hitze zu bewerten. Wir wissen ja noch nicht, wie die Brennstoffzelle reagiert, wenn es sehr kalt ist. Wir wissen auch nicht, wie viel Bremsenergie ein Bus zurückgewinnt, wenn er nicht im städtischen Gebiet unterwegs ist, sondern in der eher ländlichen Peripherie. Wir haben in unserem Netz lange Strecken von bis zu 500 Kilometern am Tag zurückzulegen, die heute erzielbaren Reichweiten sowohl von Wasserstoff- als auch von Batteriebussen schaffen dies noch nicht. Trotzdem schauen wir natürlich, wie sich die Fahrzeuge in den Betriebsablauf integrieren lassen. Und wenn wir in zwei Jahren schlauer sind, können wir überlegen, wie viele weitere Wasserstofffahrzeuge wir ausschreiben werden.
Die Vestische hat die Verkehrswende eingeläutet. Was muss Ihrer Meinung nach passieren, damit es zu einer Wende hin zu klimaneutralen Antrieben im öffentlichen Personennahverkehr kommt?
Die Verkehrswende hat den Umstieg vom motorisierten Individualverkehr auf den ÖPNV zum Ziel. Die kann in der Hauptsache nur durch eine breit angelegte Angebotswende gelingen. Der Antriebswende ist eher nachgelagert zu betrachten, denn es gibt keinen einzigen Fahrgast, der das Auto stehen lässt und den Bus nimmt, nur weil wir wasserstoff- oder batteriebetriebene Linienbusse im Einsatz haben. Und kein einziger, würde aus diesem Grund mehr für ein Ticket bezahlen. Fahrgäste wollen von A nach B – pünktlich, zuverlässig, bequem, sicher und günstig. Dazu müssen wir gute Angebote machen. Wenn wir den Betrieb um 18 Uhr einstellen, aber das Fußballspiel erst um 19 Uhr endet, dann ist das kein wirklich gutes Angebot. Wenn der Bus nicht im Halbstundentakt, sondern im Zweistundentakt fährt, ist das kein gutes Angebot. Und wenn der Bus genauso wie der Pkw im Stau steht und nicht daran vorbeifahren kann, ist das kein wirklich gutes Angebot. Busspuren, Schnellbusse, Taktverdichtung, Ausweitung der Betriebszeiten: All das sind Bausteine Richtung Angebotswende
Erst danach muss man sich natürlich auch dem Thema Antriebswende zuwenden. Beim Einsatz alternativer Antriebe muss allerdings immer auch ein stabiler und weiterhin wirtschaftlicher Betrieb gewährleistet sein. Darum werden wir weiter testen: Wasserstofffahrzeuge ebenso wie Batteriefahrzeuge. Grundvoraussetzung aber ist, dass die Fördermittelgeber ausreichend Finanzmittel bereitstellen.
Martin Schmidt, vielen Dank für das Gespräch!